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23. September 2021

Nichteinhalten des Abstands im Strassenverkehr - was droht mir?

Vor Kurzem hielt mich die Polizei beim Verlassen der Autobahn an und teilte mir mit, dass ich den erforderlichen Abstand nicht eingehalten habe. Welche Abstandsvorschriften gelten und was könnte mir drohen?
Das Strassenverkehrsgesetz (SVG) sieht vor, dass jeder Fahrzeugführer beim Hintereinanderfahren einen ausreichenden Abstand wahren muss, so dass er bei überraschendem Bremsen des voranfahrenden Fahrzeugs rechtzeitig halten kann. Wann der Abstand «ausreichend» ist, wird im Gesetz nicht weiter definiert. Grundsätzlich helfen aber zwei Faustregeln, um sicher zu gehen, dass der Abstand ausreichend ist:

Nach der Faustregel «halber Tacho» muss die Distanz zum vorausfahrenden Auto mindestens dem halben Tachowert entsprechen. Bei einer Geschwindigkeit von 120 km/h müsste folglich ein Abstand von mindestens 60 Metern eingehalten werden. Die Distanz in Metern richtig abzuschätzen, ist aber schwierig. Daher hat sich die 2-Sekunden-Regel bewährt: Dazu merkt man sich die Position des vorausfahrenden Fahrzeugs und zählt 2 Sekunden. Falls man innert 2 Sekunden noch nicht die zuvor gemerkte Position erreicht, ist der Abstand eingehalten.

Ein Verstoss gegen das SVG löst sowohl ein Strafverfahren wie auch ein Administrativmassnahmeverfahren aus. Die Erledigung der Sache mit einer Ordnungsbusse ist bei Nichteinhaltung der Abstandsregeln nicht vorgesehen.

Das Strafverfahren führt die Staatsanwaltschaft. Es wird zwischen einfachen Verkehrsregelverletzungen, die mit einer Busse bedroht sind, und groben Verkehrsregelverletzungen, die mit einer Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bedroht sind, unterschieden. Ob eine einfache oder grobe Verkehrsregelverletzung vorliegt, ist anhand der konkreten Umstände (Abstand, Verkehrs- und Sichtverhältnisse, Dauer der Unterschreitung des Abstands etc.) zu beurteilen. In der Praxis qualifizierten Gerichte in mehreren Fällen einen Abstand von unter 0,6 Sekunden als grobe Verkehrsregelverletzung.

Ob Ihnen im Rahmen des Administrativmassnahmeverfahrens der Führerausweis entzogen wird, hängt von der Schwere der Widerhandlung und davon ab, ob Sie in der Vergangenheit schon verwarnt wurden oder Ihnen der Ausweis entzogen war. Die Verkehrsregelverletzung wird in diesem Verfahren in drei Kategorien eingeteilt: leichte, mittelschwere und schwere Widerhandlungen. Diese sind nicht deckungsgleich mit den Kategorien im Strafverfahren. Das Bundesgericht hielt fest, dass eine einfache Verkehrs­regelverletzung im Strafverfahren auch einen mittelschweren Fall im Administrativverfahren darstellen kann. In diesem Fall droht ein Ausweisentzug von mindestens einem Monat. Die grobe Verkehrsregelverletzung im Strafverfahren entspreche einer schweren Widerhandlung, die ein Ausweisentzug von mindestens drei Monaten nach sich zieht.

Trotz verschiedener Kategorien und Behörden sind die beiden Verfahren nicht unabhängig voneinander. Die Administrativbehörde ist in der Regel an den Sachverhalt gebunden, wie ihn die Strafbehörde festgestellt hat. Einwände sollten deshalb unbedingt bereits im Strafverfahren geltend gemacht werden.

Ohne die konkreten Umstände zu kennen, ist keine Aussage zu den für Sie drohenden Konsequenzen möglich. Sicher kann Ihr Fall nicht im Ordnungsbussenverfahren erledigt werden, und die Sanktionen können einschneidend sein. Eine exakte Beurteilung kann Ihnen ein im Straf- und Strassenverkehrsrecht erfahrener Anwalt nach Einsicht in die Akten abgeben. 

Raphael Fries, Rechtsanwalt

Dieser Beitrag erschien als Ratgeber Recht in der Surseer Woche vom 23. September 2021.
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