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Corona: Muss ich mich testen lassen?

Ich (w, 55) arbeite in einem KMU. Nun verlangt der Arbeitgeber, dass wir wöchentlich einen Corona-Selbsttest machen und das Resultat dem Arbeitgeber offenlegen und uns zum Impfen anmelden. Darf er das verlangen?
Diese Fragen werden unter Fachleuten aktuell laufend diskutiert. Dabei prallen verschiedene Interessen, Rechte und Pflichten aufeinander und sind im konkreten Einzelfall abzuwägen: Der Arbeitgeber hat aufgrund seiner Fürsorgepflicht die Gesundheit und die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schützen (Art. 328 OR).

Interessenkonflikt
Bereits hier kann es zu einem Interessenkonflikt kommen, wenn der Arbeitgeber auf der einen Seite einen «besonders gefährdeten Arbeitnehmer» (Covid-19-Verordnung) zu schützen hat und auf der anderen Seite junge, gesunde Mitarbeitende ihre Persönlichkeitsrechte einfordern.

Nebst diesen Rechten der Mitarbeitenden hat der Arbeitgeber das Recht, seinen Betrieb wirtschaftlich zu führen und Weisungen zu erteilen, welche die Mitarbeitenden nach Treu und Glauben zu befolgen haben (Art. 321a OR). Bei allen Massnahmen, die der Arbeitgeber anordnet, muss er das Verhältnismässigkeitsprinzip beachten. Eine Massnahme ist nicht mehr verhältnismässig, wenn eine andere Massnahme zum gleichen Ziel führt. Bezüglich der Tests gilt es, gut zu differenzieren. Die Behörde hat das Recht (gestützt auf das Epidemiengesetz), Covid-19-Tests beim Auftreten von Corona-Hotspots anzuordnen. Wenn ein Betrieb betroffen ist (z.B. Hotel), dann ist der Vollzug dieser behördlichen Anordnung arbeitsrechtlich zulässig, ja für den Arbeitgeber sogar Pflicht.

Ob aber ein Arbeitgeber von sich aus Covid-19-Tests anordnen darf und durchsetzen kann, hängt von der konkreten Interessenlage ab. Die Interessen des Arbeitgebers müssen überwiegend sein (z.B. sehr viele Kundenkontakte, viele gefährdete Personen usw.). Dann kann eine solche Weisung, sich regelmässig testen zu lassen, verhältnismässig und zulässig sein.

Weigert sich ein Mitarbeitender (was möglich ist, weil Zwangstests ausgeschlossen sind), verstösst er gegen eine rechtmässige Weisung und muss mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen (Mahnung, Versetzung bis Kündigung). Umgekehrt wären bei einer unzulässigen Weisung (weil die Interessen des Arbeitgebers geringer einzustufen sind) auch die arbeitsrechtlichen Konsequenzen widerrechtlich.

Kein Impfzwang
Allgemein bekannt sein dürfte bereits, dass niemand zu einer Impfung gezwungen werden kann. Wiederum stellt sich aber die Frage, ob eine Weisung, sich impfen zu lassen, rechtmässig sein kann und deshalb der Arbeitgeber bei einer Weigerung Konsequenzen ziehen darf (bis hin zur Kündigung bei Impfverweigerung).
Im heutigen Zeitpunkt wird es kaum Situationen geben, bei denen die Interessen des Arbeitgebers an einer Impfung höher zu gewichten wären als das Recht des Einzelnen auf persönliche Integrität und auf Wahrung seiner Grundrechte. Ob sich diese Abwägung in Zukunft ändern wird, hängt unter anderem davon ab, ob sich die Covid-19-Impfung etablieren kann (wie z.B. bei der Polio-Impfung) und ob sich die Covid-Situation weiter verschärft oder nicht. Grundsätzlich wäre die Impfung wenn möglich während der Freizeit vorzunehmen.

Raetus Cattelan, Rechtswalt und Fachanwalt SAV Arbeitsrecht

Dieser Beitrag erschien als Ratgeber Recht in der Luzerner Zeitung vom 28.04.2021.
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