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Darf der Arbeitgeber politische Propaganda machen?
Ich arbeite als GL-Assistentin in einer grösseren Firma. Regelmässig erhalten wir Infomails mit politischen Inhalten. Nun musste ich in der Firma an den Anschlagbrettern Propaganda-Plakate zu einem Abstimmungsthema aufhängen. Meiner Ansicht nach geht hier unser Arbeitgeber zu weit. Muss ich das akzeptieren?
Wenn der Arbeitgeber der Bund, ein Kanton oder eine Gemeinde wäre, ist die Antwort klar und einfach: Art. 34 Abs. 2 der Bundesverfassung besagt: «Die Garantie der politischen Rechte schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe.» Diese Verfassungsgarantie richtet sich an den Staat. Deshalb ist es dem Staat auch als Arbeitgeber verboten, einseitig über ein Abstimmungsthema zu informieren und so die Bürger zu beeinflussen. Der Staat hat sich an die objektive Informationspflicht zu halten.
Bei einem privatrechtlichen Arbeitgeber (Einzelfirma, GmbH oder Aktiengesellschaft) sieht die Rechtslage etwas anders aus. Zuerst ist festzuhalten, dass der privatrechtliche Arbeitgeber nicht dieser Verfassungspflicht von Art. 34 BV untersteht. Als Privatperson ist es dem Arbeitgeber erlaubt, seine Meinung zu äussern; sie muss weder ausgewogen noch objektiv sein. Grundsätzlich darf deshalb der Arbeitgeber innerhalb seiner Räumlichkeiten Informationen über ein politisches Thema verbreiten.
Allerdings muss der Arbeitgeber seine Schranken in arbeitsrechtlicher Hinsicht beachten. Im Vordergrund steht seine Fürsorgepflicht nach Art. 328 OR. Diese Bestimmung lautet im ersten Satz: «Der Arbeitgeber hat im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen, auf dessen Gesundheit gebührend Rücksicht zu nehmen und für die Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen.»
Grenzen der Meinungsfreiheit
Zur Persönlichkeit der Arbeitnehmerin und des Arbeitnehmers gehört selbstverständlich ihre Meinungsäusserungsfreiheit. Diese kann tangiert werden, wenn der Arbeitgeber zu einseitig, zu absolut und zu intensiv für ein Abstimmungsthema Werbung betreibt. Denn die Arbeitnehmenden werden sich dann wohl kaum getrauen, ihre gegenteilige Ansicht im Betrieb (z.B. in einem Pausengespräch) zu äussern, aus Angst, der Arbeitgeber könnte deswegen Sanktionen ergreifen. Aber auch wenn die Werbung diskret bleibt und die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeitenden nicht tangiert, ist zu bedenken, dass durch solche Aktionen des Arbeitgebers die politische Diskussion im Betrieb erst entsteht und sich zwei Lager bilden können. Das ist nicht grundsätzlich schlecht, kann aber im negativen Fall zu einer Störung des Betriebsfriedens führen.
Umgekehrt ist es – trotz der erwähnten Meinungsäusserungsfreiheit – den Arbeitnehmenden auch nicht unbeschränkt erlaubt, Abstimmungswerbung zu betreiben. Der Arbeitgeber kann nicht verbieten, wenn Mitarbeitende ihre Meinung dazu äussern. Auch diskrete Abstimmungswerbung wie das Tragen eines «Button» muss in den meisten Fällen toleriert werden. Verbieten kann der Arbeitgeber, wenn Mitarbeitende das Eigentum des Arbeitgebers für solche Aktionen beanspruchen wollen (vom Kopieren bis zur Nutzung von Räumlichkeiten).
Raetus Cattelan, Rechtswalt und Fachanwalt SAV Arbeitsrecht
Dieser Beitrag erschien als Ratgeber Recht in der Luzerner Zeitung vom 24. November 2021.
Bei einem privatrechtlichen Arbeitgeber (Einzelfirma, GmbH oder Aktiengesellschaft) sieht die Rechtslage etwas anders aus. Zuerst ist festzuhalten, dass der privatrechtliche Arbeitgeber nicht dieser Verfassungspflicht von Art. 34 BV untersteht. Als Privatperson ist es dem Arbeitgeber erlaubt, seine Meinung zu äussern; sie muss weder ausgewogen noch objektiv sein. Grundsätzlich darf deshalb der Arbeitgeber innerhalb seiner Räumlichkeiten Informationen über ein politisches Thema verbreiten.
Allerdings muss der Arbeitgeber seine Schranken in arbeitsrechtlicher Hinsicht beachten. Im Vordergrund steht seine Fürsorgepflicht nach Art. 328 OR. Diese Bestimmung lautet im ersten Satz: «Der Arbeitgeber hat im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen, auf dessen Gesundheit gebührend Rücksicht zu nehmen und für die Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen.»
Grenzen der Meinungsfreiheit
Zur Persönlichkeit der Arbeitnehmerin und des Arbeitnehmers gehört selbstverständlich ihre Meinungsäusserungsfreiheit. Diese kann tangiert werden, wenn der Arbeitgeber zu einseitig, zu absolut und zu intensiv für ein Abstimmungsthema Werbung betreibt. Denn die Arbeitnehmenden werden sich dann wohl kaum getrauen, ihre gegenteilige Ansicht im Betrieb (z.B. in einem Pausengespräch) zu äussern, aus Angst, der Arbeitgeber könnte deswegen Sanktionen ergreifen. Aber auch wenn die Werbung diskret bleibt und die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeitenden nicht tangiert, ist zu bedenken, dass durch solche Aktionen des Arbeitgebers die politische Diskussion im Betrieb erst entsteht und sich zwei Lager bilden können. Das ist nicht grundsätzlich schlecht, kann aber im negativen Fall zu einer Störung des Betriebsfriedens führen.
Umgekehrt ist es – trotz der erwähnten Meinungsäusserungsfreiheit – den Arbeitnehmenden auch nicht unbeschränkt erlaubt, Abstimmungswerbung zu betreiben. Der Arbeitgeber kann nicht verbieten, wenn Mitarbeitende ihre Meinung dazu äussern. Auch diskrete Abstimmungswerbung wie das Tragen eines «Button» muss in den meisten Fällen toleriert werden. Verbieten kann der Arbeitgeber, wenn Mitarbeitende das Eigentum des Arbeitgebers für solche Aktionen beanspruchen wollen (vom Kopieren bis zur Nutzung von Räumlichkeiten).
Raetus Cattelan, Rechtswalt und Fachanwalt SAV Arbeitsrecht
Dieser Beitrag erschien als Ratgeber Recht in der Luzerner Zeitung vom 24. November 2021.