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Hab ich ein Kapprecht an Nachbars Pflanzen?

Mein Nachbar lässt seinen Garten so wuchern, dass seine Pflanzen über die Grenze auf mein Grundstück ragen. Darf ich sie zurückschneiden? Und darf ich die überhängenden Früchte ernten? Und was ist, wenn bei einem Sturm ein Ast auf mein Grundstück fällt und Schaden verursacht?
Wachsen Äste eines Baums oder Strauchs Ihres Nachbarn auf Ihr Grundstück, so dürfen Sie nicht direkt selbst zur Schere greifen. Das sogenannte Kapprecht ist im Schweizerischen Zivilgesetzbuch geregelt: Überragende Äste und eindringende Wurzeln kann der Nachbar kappen und für sich behalten, wenn sie sein Eigentum schädigen und auf seine Beschwerde hin nicht binnen angemessener Frist beseitigt werden.

Voraussetzung für das Kapprecht ist also einerseits, dass Ihr Grundstück durch die überragenden Äste geschädigt wird. Eine Schädigung liegt zum Beispiel dann vor, wenn Ihrem Grundstück durch den Schattenwurf der Äste massiv Licht oder Aussicht entzogen wird oder die Begehbarkeit eines Wegs durch die überragenden Äste eingeschränkt wird oder wenn eindringende Wurzeln Ihr bestehendes Mauerwerk beschädigen. Die Schädigung muss aber erheblich sein. In der Regel genügt es daher nicht, wenn es zum Beispiel von den Pflanzen auf Ihr Grundstück tropft oder Laub herunterfällt.

Angemessene Frist setzen
Die zweite Voraussetzung für die erlaubte Ausübung des Kapprechts ist, dass Sie sich bei Ihrem Nachbarn über die überhängenden Äste beschwert haben, dieser aber innert angemessener Frist nicht gehandelt hat. Sie müssen deutlich zum Ausdruck bringen, dass Sie das Eindringen der Äste nicht mehr dulden, eine Frist für den Rückschnitt ansetzen und mitteilen, dass Sie die Äste nötigenfalls selbst kappen werden. Was als angemessene Frist gilt, kommt auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Frist muss für die zur Rückschneidung erforderliche Arbeit ausreichen; mehr Zeit muss z. B. gewährt werden, wenn der Beizug einer Fachperson nötig ist. Zudem ist allenfalls eine Vegetationsperiode zu beachten, während der kein Rückschnitt erfolgen kann. Reagiert Ihr Nachbar nicht innert der angesetzten Frist, so können Sie die unliebsamen Pflanzen danach im Sinne einer Selbsthilfemassnahme selbst kappen. Sie dürfen aber nur so viel zurückschneiden, wie zur Beseitigung der Beeinträchtigung Ihres Grundstücks notwendig ist.

Recht auf Genuss der Früchte
Unabhängig davon, ob die Äste des Nachbarbaums Ihr Grundstück beeinträchtigen oder nicht, haben Sie das Recht, die Früchte, Nüsse, Beeren etc. der überragenden Äste zu ernten und für sich zu behalten. Wenn Sie die überhängenden Äste dulden, dann haben Sie im Gegenzug auch das Recht am Genuss der Früchte.

Das gilt bei Schaden nach Sturm
Bricht bei einem Sturm ein Ast ab, fällt auf Ihr Grundstück und richtet zum Beispiel Schaden an Ihrem Haus an, ist zu differenzieren zwischen der Beseitigungspflicht und einem Scha­denersatz. Ihr Nachbar ist als Eigentümer des infolge Naturgewalt abgebrochenen Asts verpflichtet, diesen auf eigene Kosten zu entfernen. Sie müssen ihm zu diesem Zweck den Zutritt zu Ihrem Grundstück gewähren. Zum Schadenersatz gilt: Ihr Nachbar haftet laut Bundesgericht nicht für ausschliesslich durch Naturereignisse verursachte Schäden. Eine Haftung kann sich indes ergeben, wenn Ihr Nachbar etwa durch falsche Pflege seiner Pflanzen eine Gefahr für Ihr Grundstück geschaffen und sich diese nun durch den Astabbruch verwirklicht hat. In der Praxis dürfte das aber eine Frage sein, mit der sich haupt­sächlich die beteiligten Gebäude- sowie Haftpflichtversicherungen auseinanderzusetzen haben.

Kaja Vogler, Rechtsanwältin

Dieser Beitrag erschien als Ratgeber Recht in der Surseer Woche vom 27. Juli 2023.
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