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Kann mein Chef Überzeit anordnen, ohne mich zu fragen?

Ich (w., 45) bin im Gesundheitswesen mit 40 Prozent festangestellt. Darf mein Arbeitgeber, ohne mich zu fragen, 50 oder 60 Prozent einteilen, wenn Personal fehlt? Und muss ich eine solche Überzeit ausbezahlen lassen?
Ich gehe bei meiner Antwort davon aus, dass Sie in einem «privatrechtlichen Arbeits­verhältnis» stehen und deshalb das Obligationenrecht und das Arbeitsgesetz Anwendung finden. Sollten Sie von einer Gemeinde oder einem Kanton angestellt sein, wären die kommunalen oder kantonalen Personalgesetze anwendbar und zu konsultieren. Erfahrungsgemäss sind die Unterschiede zu den privatrechtlichen Bestimmungen aber nicht mehr gross.

Eine zweite Vorbemerkung betrifft die Unterscheidung zwischen Überstunden und Überzeit. Überstunden liegen vor, wenn über das vereinbarte Pensum hinaus Arbeit geleistet wird. Überzeit liegt vor, wenn über die gesetzlich festgelegten Höchstarbeitszeiten Arbeit geleistet wird (die gesetzliche Höchstarbeitszeit beträgt 45 oder 50 Stunden; je nach Berufskategorie). Die Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil das Gesetz im Bereich von Überstunden den Parteien die Möglichkeit gibt, vertraglich eine eigene Regelung zu treffen, namentlich, was die Kompensation von Überstunden betrifft (z.B. nur Lohn ohne Zuschlag). Im Bereich von Überzeit ist das nicht möglich; vertragliche Abreden sind bei der Überzeit wirkungslos.

Ihr Arbeitgeber verlangt von Ihnen deshalb die Leistung von Überstunden (50 oder 60% Pensum im Vergleich zu den vereinbarten 40%). Art. 321c Abs. 1 Obligationenrecht (OR) bestimmt, dass Sie Überstunden leisten müssen, wenn Sie diese Überstunden zu leisten vermögen und sie Ihnen nach Treu und Glauben zuge­mutet werden können.

Wenn Sie z.B. feste Verpflichtungen ausserhalb des vereinbarten 40-%-Pensums wahrnehmen müssen, können sich weigern, Überstunden zu leisten. Überstundenarbeit wäre in diesem Fall aus organisatorischen Gründen unmöglich. Können Sie sich grundsätzlich organisieren, stellt sich die nächste Frage, wie lange sie das höhere Pensum «nach Treu und Glauben» leisten müssen. Dazu gibt es keine generelle Regel, weil die Zumutbarkeit immer von der konkreten Situation abhängig ist. Fest steht nur, dass Überstunden die Ausnahme zum arbeitsvertraglich festgelegten Pensum bilden. Dieser Ausnahmezustand darf also nicht zur Regel werden. Denn reicht das vereinbarte Pensum auf die Dauer nicht aus, müssen die Parteien den Vertrag anpassen. Kommt keine Anpassung zustande, hat der Arbeitgeber eine andere Lösung zu suchen.

Grundsätzlich Geld-Kompensation
Was die Kompensation von Überstunden angeht, geht das Gesetz grundsätzlich von der Geldkompensation aus (Lohn mit Zuschlag von 25%). Für die Kompensation durch Freizeit braucht es das Einverständnis von Ihnen als Arbeitnehmerin (Art. 321c Abs. 2 und 3 OR). Aus dieser Bestimmung ergibt sich aber kein Wahlrecht.

Sie können nicht bestimmen, wie die Überstunden kompensiert werden, sie können sich nur gegen die Freizeitkompensation wehren, wenn Sie damit nicht einverstanden wären. Oft wird im Vertrag oder im Personalreglement diese Frage der Kompensation geregelt. Konsultieren Sie deshalb Ihren Vertrag, ob bereits eine Regelung vorhanden ist, die beide Parteien respektieren müssen.

Raetus Cattelan, Rechtswalt und Fachanwalt SAV Arbeitsrecht

Dieser Beitrag erschien als Ratgeber Recht in der Luzerner Zeitung vom 3. August 2022.
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