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Neues Erbrecht: Anpassungsbedarf des Erbvertrags?
Sie haben im Juli-Ratgeber über die im Januar 2023 in Kraft tretende Erbrechtsrevision und dabei über die Position eines Erben gesprochen, mit welchem ein Erbvertrag geschlossen wurde. Wir haben mit unseren Kindern einen Erbvertrag geschlossen: Die beiden Kinder haben (vorerst) auf ihre Erbansprüche verzichtet und kommen erst zum Zug, wenn beide Elternteile, das heisst ich und mein Mann, verstorben sein werden. Sie haben geschrieben, die Erben seien neu besser geschützt. Könnten Sie das noch etwas näher ausführen?
Ich benutze für die nachfolgenden Ausführungen Ihre typische Konstellation, wo sich die beiden Eltern «meistbegünstigen» (sie sehen somit vor, dass – wenn der erste Ehegatte stirbt – der verbleibende Ehegatte alles erben soll.) Willigen die beiden Kinder in einem Erbvertrag mit Ihnen und Ihrem Mann ein, beim Erstversterbenden noch auf ihre Erbansprüche zu verzichten, so geht das ganze Vermögen der beiden Ehepartner an den überlebenden Ehegatten oder die überlebende Ehegattin. Die beiden Kinder erben folglich (noch) nichts.
Die beiden Kinder sind nun – vereinfacht gesagt – ungeschützt. Denn sie laufen Gefahr, dass ihnen ihr Erbteil, auf den sie im Erstversterbensfall verzichtet haben, durch Schenkungen des überlebenden Ehegatten an Dritte verlustig geht. Zwar sollten sie dagegen durch Art. 494 Abs. 3 ZGB geschützt werden. Die Regelung besagt, dass Verfügungen von Todes wegen oder Schenkungen, die mit seinen Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, der Anfechtung unterliegen. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung war indessen streng: Eine Anfechtung konnte erfolgreich grundsätzlich nur erhoben werden, wenn die Schenkung in «Schädigungsabsicht» erfolgt ist. Eine solche Schädigungsabsicht – so hielt das Bundesgericht weiter fest – müsse «manifest» beziehungsweise «offenbar» sein. Die Hürde dafür, dass gegen eine Schenkung erfolgreich mit Anfechtungsklage vorgegangen werden konnte, war somit sehr hoch.
Hier wird das neue Erbrecht eine Änderung bringen. Denn nach dem neuen Wortlaut der Bestimmung können die Verfügungen von Todes wegen und die unentgeltlichen Zuwendungen unter Lebenden der Erblasserin oder des Erblassers (nach deren beziehungsweise dessen Tod) angefochten werden, wenn folgende zwei Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sind: (1) Die Verfügungen und Zuwendungen sind mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar, namentlich schmälern sie erbvertraglich vereinbarte Begünstigungen; (2) sie sind im Erbvertrag nicht vorbehalten worden.
Schmälert somit eine Schenkung den Erbanspruch der Nachkommen, die vorerst auf ihren Anspruch verzichtet haben, und ist eine solche «schmälernde» Schenkung im Erbvertrag nicht ausdrücklich vorbehalten worden, so kann die Schenkung angefochten werden. Der neue Art. 494 Abs. 3 ZGB bedeutet somit, dass die Position eines Erben besser geschützt wird, weil der Erbvertrag den Erblasser nun stärker hindert, lebzeitige Schenkungen auszurichten.
Dies bedeutet, dass es ab sofort umso wichtiger ist, Erbverträge sehr präzise zu formulieren und genau festzulegen, ob und gegebenenfalls welche Freiheiten dem Erblasser/der Erblasserin verbleiben. Es ist vor diesem Hintergrund zu empfehlen, bereits geschlossene Erbverträge prüfen zu lassen und neue Verträge mit Blick auf das neue Recht entsprechend zu formulieren.
Dr. Rainer Wey, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt SAV Erbrecht
Dieser Beitrag erschien als Ratgeber Recht in der Surseer Woche vom 13. Oktober 2022.
Die beiden Kinder sind nun – vereinfacht gesagt – ungeschützt. Denn sie laufen Gefahr, dass ihnen ihr Erbteil, auf den sie im Erstversterbensfall verzichtet haben, durch Schenkungen des überlebenden Ehegatten an Dritte verlustig geht. Zwar sollten sie dagegen durch Art. 494 Abs. 3 ZGB geschützt werden. Die Regelung besagt, dass Verfügungen von Todes wegen oder Schenkungen, die mit seinen Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, der Anfechtung unterliegen. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung war indessen streng: Eine Anfechtung konnte erfolgreich grundsätzlich nur erhoben werden, wenn die Schenkung in «Schädigungsabsicht» erfolgt ist. Eine solche Schädigungsabsicht – so hielt das Bundesgericht weiter fest – müsse «manifest» beziehungsweise «offenbar» sein. Die Hürde dafür, dass gegen eine Schenkung erfolgreich mit Anfechtungsklage vorgegangen werden konnte, war somit sehr hoch.
Hier wird das neue Erbrecht eine Änderung bringen. Denn nach dem neuen Wortlaut der Bestimmung können die Verfügungen von Todes wegen und die unentgeltlichen Zuwendungen unter Lebenden der Erblasserin oder des Erblassers (nach deren beziehungsweise dessen Tod) angefochten werden, wenn folgende zwei Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sind: (1) Die Verfügungen und Zuwendungen sind mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar, namentlich schmälern sie erbvertraglich vereinbarte Begünstigungen; (2) sie sind im Erbvertrag nicht vorbehalten worden.
Schmälert somit eine Schenkung den Erbanspruch der Nachkommen, die vorerst auf ihren Anspruch verzichtet haben, und ist eine solche «schmälernde» Schenkung im Erbvertrag nicht ausdrücklich vorbehalten worden, so kann die Schenkung angefochten werden. Der neue Art. 494 Abs. 3 ZGB bedeutet somit, dass die Position eines Erben besser geschützt wird, weil der Erbvertrag den Erblasser nun stärker hindert, lebzeitige Schenkungen auszurichten.
Dies bedeutet, dass es ab sofort umso wichtiger ist, Erbverträge sehr präzise zu formulieren und genau festzulegen, ob und gegebenenfalls welche Freiheiten dem Erblasser/der Erblasserin verbleiben. Es ist vor diesem Hintergrund zu empfehlen, bereits geschlossene Erbverträge prüfen zu lassen und neue Verträge mit Blick auf das neue Recht entsprechend zu formulieren.
Dr. Rainer Wey, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt SAV Erbrecht
Dieser Beitrag erschien als Ratgeber Recht in der Surseer Woche vom 13. Oktober 2022.