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Testamente und Erbver­träge sind anzupassen

Ich und mein zweiter Ehemann haben vor vier Jahren einen Erbvertrag abgeschlossen. Wir haben unsere jeweiligen Kinder aus erster Ehe zugunsten des Überlebenden auf den Pflichtteil gesetzt. Eine Bekannte hat mir gesagt, die Pflichtteile würden demnächst gesetzlich geändert, und wir müssten unseren Erbvertrag daher unbedingt anpassen. Stimmt das?
Änderung der Pflichtteile:
Das über 100-jährige Erbrecht der Schweiz wird voraussichtlich per 1. Januar 2023 revidiert und modernisiert. Das neue Erbrecht wird flexibler und gibt mit Blick auf die modernen heutigen Familien- und Lebensformen mehr Freiheit in der Gestaltung des Nachlasses. Zentral ist die Anpassung der Pflichtteile. Der Pflichtteil ist der Mindestanteil, den ein gesetzlicher Erbe am Erbe erhält und der ihm auch mit einem Testament oder in einem Erbvertrag nicht ohne seine Zustimmung entzogen werden darf. Pflichtteile haben bisher der Ehegatte, die Kinder und die Eltern. Im neuen Erbrecht wird der Pflichtteil der Kinder von bisher ¾ ihres Erbanteils auf ½ reduziert. Der Pflichtteil der Eltern entfällt in Zukunft ganz. Derjenige des Ehepartners hingegen bleibt unverändert bei der Hälfte bestehen. Durch die Reduktion der Pflichtteile erhöht sich die sogenannte «verfügbare Quote», d. h. der Anteil am Nachlass, über den eine Erblasserin oder ein Erblasser frei entscheiden kann, wem er zufallen soll. Damit kann z. B. ein Konkubinatspartner oder eine Stiftung bedacht werden, aber auch der Ehepartner zusätzlich begünstigt werden.

Bestehende Testamente und Erbverträge bleiben gültig:
Testamente und Erbverträge, die bereits vor dem Inkrafttreten des neuen Erbrechts erstellt wurden, gelten auch unter dem neuen Erbrecht weiter. Ein Ehe- und Erbvertrag wird mit Inkrafttreten des neuen Erbrechts nicht ungültig. Ob das alte oder neue Erbrecht – und damit auch der höhere oder tiefere Pflichtteil der Kinder – gilt, hängt nicht davon ab, zu welchem Zeitpunkt der Erbvertrag abgeschlossen oder das Testament erstellt wurde. Stirbt eine Person vor dem Inkrafttreten der Revision, so gilt das alte Recht, stirbt sie nach Inkrafttreten, so kommt das neue Recht zur Anwendung. Verstirbt ein Ehegatte vor dem Inkrafttreten des neuen Erbrechts, beträgt der Erbanteil der Kinder demnach ⅜ des Nachlasses (Pflichtteil von ¾ vom gesetzlichen Erbanteil von ½), bei einem Tod nach dem Inkrafttreten hingegen nur noch ¼ des Nachlasses (Pflichtteil von ½ vom gesetzlichen Erbanteil von ½). Ohne Anpassung des Erbvertrags gelten demnach bei einem Versterben nach der Revision ohne Weiteres die neuen tieferen Pflichtteile.

Empfehlung: Überprüfung der Nachlassplanung:
Da die bisherigen Testamente und Erbverträge gültig bleiben, kann es im Einzelfall je nach Formulierung eines Testaments oder eines Erbvertrags zu schwierigen Fragen – im schlimmsten Fall zu Streit unter den Erben – kommen. Das gilt besonders dann, wenn nicht klar ist, ob die Erblasserin oder der Erblasser anders über seinen Nachlass verfügt hätte, wenn er gewusst hätte, dass das neue Erbrecht gilt. Das neue Erbrecht und die veränderten Pflichtteile können je nach Konstellation auch zu unerwünschten Ergebnissen führen. Es empfiehlt sich daher in jedem Fall, ein Testament oder einen Erbvertrag auf die geänderte Rechtslage hin zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.

In Ihrem Fall erhalten Ihre Kinder nach Inkrafttreten des neuen Erbrechts einen erheblich kleineren Erbanteil als unter dem alten Recht; der überlebende Ehepartner einen entsprechenden höheren Anteil. Zu beachten ist, dass ohne besondere Regelung bei einer Patchwork-Familie wie der Ihren der höhere Erbanteil des überlebenden Ehegatten bei dessen Tod nur noch seinen Kindern zufällt. Entspricht das nicht Ihrem Wunsch, drängt sich eine Anpassung Ihres Erbvertrags auf.

Salome Krummenacher, Rechtsanwältin und Notarin

Dieser Beitrag erschien als Ratgeber Recht in der Surseer Woche vom 25. März 2021.
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